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Bis März 2015 lief im Osnabrücker Theater das Musical "Jekyll & Hyde" von Frank Wildhorn und Leslie Bricusse. Geworben wird in der ganzen Stadt mit dem Motiv der zwei Köpfe. ( Achenbach-Foto/eigen ) |
Osnabrück (eb) - Eines muss man dem Regisseur Guillermo Amaya
lassen: Das Schlussbild des Musicals „Jekyll & Hyde“ im Theater Osnabrück bleibt einem noch lange im Kopf. In einer in kaltem Licht ausgeleuchteten
Kirche hat im dramatischen Finale der Tod Einzug gehalten. Die Geschichte vom
Wissenschaftler Henry Jekyll, der in einem grässlich schieflaufenden Eigenexperiment
zum brutalen Mörder Edward Hyde geworden ist, hat ihr Ende gefunden. Und vorne
an den Bühnenrändern kniet das Londoner Volk und dreht sich ganz langsam, ganz
gemächlich, zum Publikum um... Um es schließlich mit den Augen zu fixieren. Es
geht hier um Euch, sagt diese Symbolik. Diesen Samen des Bösen tragt Ihr alle
in Euch. Ein starkes Bild, weil es so reduziert daherkommt. Mit nur wenigen
theatralischen Mitteln wird hier maximale Wirkung erzeugt. Weniger ist eben
mehr. Es gibt einige andere Stellen in dieser Musicalinszenierung, in denen man
Guillermo Amaya dieses Motto gerne noch einmal zugerufen hätte.
Immer, wenn es wackelt und rot leuchtet, kommt das Bööööseee
Denn wie häufig
der Regisseur die Verwandlung des Wissenschaftlers Henry Jekyll in sein
gefährliches Alter Ego Edward Hyde durch stetig wackelnde Hintergrundbilder
oder flackernd wechselnde Lichter zu verdeutlichen sucht, ist zuweilen echt
nervig. Unnötig ist es dazu. Mit Jan Friedrich Eggers – der für die größte
Überraschung des Abends sorgt – verfügt Amaya über einen hervorragenden
Darsteller, der die Doppelrolle locker ausfüllen kann und diese Kunstgriffe in
die Trickkiste nicht gebraucht hätte. Das Publikum hätte es auch so verstanden.
Besonders schade ist, dass einer der erotisch-knisternden Höhepunkte des ganzen
Musicals – das Duett „Ein gefährliches Spiel“, in dem sich die Prostituierte
Lucy dem triebgesteuerten Bösen des Killers Hyde fast lustvoll hinzugeben
scheint –, durch das Dauergewackel im Hintergrund komplett verpufft, weil die
ewig zitternde Londoner Stadtkulisse störend vom Spiel der Darsteller ablenkt.
Schade. Amaya kann es doch eigentlich besser, wie er uns immer wieder zeigt. So
gelingt beispielsweise die Szene, in der eines der Opfer des Killers vor den
Zug geschmissen wird, sehr eindrucksvoll – durch nur wenige Versatzstücke wie
eine große Uhr und eine schrägstehende Erhöhung wird der Bahnhof angedeutet,
den Rest machen Klangeffekte, Theaterdampf und die eigene Fantasie. Doch das allein macht den Reiz des Abends nicht aus.
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Es geht um das Gute im Menschen. Einerseits.... ( Achenbach-Foto/analoges Leica-Leitz-Makro-Objektiv) |
Überraschung des Abends: Ein Opernsänger kann Popgesang!
Was diesen
Musicalabend erlebenswert macht, ist dann auch weniger die Regie oder die teils
doch recht spärliche Bühnenausstattung, die das Stück ganz klar in der
viktorianischen Zeit verortet (und in der durch vereinzelte Deko-Elemente wie
sich herabsinkende Säulen die Spielorte eher angedeutet werden) – es sind
vielmehr die drei Hauptdarsteller. Der Jekyll-Darsteller Jan Friedrich Eggers ist ein eigentlich für den klassischen Gesang ausgebildeter Bariton aus dem
Opernfach. Doch seine schauspielerischen Fähigkeiten sind ebenso beachtlich wie
die Tatsache, dass Eggers trotz andersartiger Ausbildung problemlos in den für
das Popressort benötigten Beltgesang umschalten kann. Eine echte Überraschung.
Sein großer Solo-Auftritt „Dies ist die Stunde“ gerät dann auch zum umjubelten
Showstopper. Nur in der Nummer „Welch‘ Gefühl so lebendig zu sein“ kommt er
gegen das ihn von hinten plattdrückende Orchester nicht mehr an. Das Böse geht
sozusagen schon vorzeitig unter.
Die Gast-Sängerin ist die Beste - sie lernte das Fach Musical
Mit der
knapp 30 Jahre alten Musicaldarstellerin Dorothea Maria Müller hat sich
das Theater Osnabrück für die Rolle der Prostituierten Lucy einen
hervorragenden Gast ins Haus geholt. Für die noch recht frisch ausgebildete
Darstellerin (absolvierte zuerst eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau) ist
es nach Stationen in Hamburg, Nürnberg und Bremerhaven die sechste Hauptrolle.
Gelernt hat sie ihr Fach auf der Stage School in Hamburg – die gute Ausbildung
dort macht sich positiv bemerkbar. Müller singt rein musicaltechnisch gesehen
am besten, ihre Solonummer „Mein Leben“ ist der emotionale Höhepunkt des
Abends. In dieser Szene darf die arme Lucy noch einmal richtig in der Hoffnung
auf ein besseres Leben baden. Und die wird spürbar. Doch dann erscheint Edward
Hyde... Überhaupt erreicht diese finale Sequenz im Nachtclub in all ihrer
Dramatik eine überzeugende Dichte. Hier ist Jan Friedrich Eggers einmal ganz
der charismatisch-bösartige Verführer, den reine Mordlust hergetrieben hat. Das
verkörpert er erschreckend glaubhaft.
Das Ensemble wird durch Musicalstudenten verstärkt
Ansonsten setzt
das Theater am Domhof zur einen Hälfte auf eigene Kräfte und zur anderen Hälfte
auf die jungen Studenten der Hochschule Osnabrück, die im Institut für Musik
eine Ausbildung zum Musicaldarsteller absolvieren. Eine Ausbildung also, die
Tanzen, Singen und Schauspiel gleichermaßen behandelt. Es ist der geschlossene
dritte Jahrgang, der hier auf der Bühne zu erleben ist, erkennbar anders ausgebildet als
der teilweise mit ihm agierende Opernchor. Der große Einsatz der Studenten
kommt immer in den Zwischenpassagen, in denen das Londoner Volk wie ein ewig
mahnender griechischer Erzählerchor darüber sinniert, wieviele Menschen ihre
Fassaden aufrechterhalten, obwohl sich dahinter allerhand Unvorteilhaftes
versammelt. Die Shownummern kommen dank der Choreografie von Morris Perry energievoll und mit viel Bewegung bestückt daher. Natürlich dienen diese trotz
aller Bewegung retardierenden Momente vor allem dazu, den nötigen Bühnenumbau
mit Aktion und Musik zu füllen – vor allem in der Osnabrücker Inszenierung ist
das so, denn wir sehen den ganzen Abend lang nur einen einzigen flüssigen
Umbau auf offener Bühne. Stattdessen senkt sich immer wieder der
Projektionsvorhang, auf dem die Londoner Stadtkulisse abgebildet wird. Mal
feststehend, mal wackelnd. Aber das hatten wir ja schon.
Große Chance für eine Studentin – eine Hauptdarstellerin fällt aus
Auch die Rolle
der Lisa, also der Verlobten, die eigentlich von der als „Evita“ bekannt
gewordenen Opernsängerin Susann Vent-Wunderlich hätte gespielt werden sollen,
ist durch eine Studentin besetzt worden. Was mehr ein Zufall war. Erst kurz vor
der Premiere wurde wegen einer Erkrankung der Darstellerin fieberhaft Ersatz
gesucht – und in der jungen Hochschul-Studentin Joyce Diedrich gefunden. Was
für eine Chance! Und wie gut sie das macht! Dafür, dass sie sich noch mitten in
der Ausbildung befindet und nur in den Höhen der Gesangspartien noch ein wenig
unsicher wirkt, fügt sich die angehende Musicaldarstellerin nahtlos ein in die
Riege der Hauptdarsteller.
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..... und das Böse im Menschen andererseits. (Achenbach-Foto) |
Dramatische Chorpassagen – und Balladen, Balladen, Balladen
Das Musical
„Jekyll & Hyde“, das die beiden Popmusik-Spezialisten Frank Wildhorn und
Leslie Bricusse in den 90er Jahren aus dem beliebten Roman von Robert Louis
Stevenson schmiedeten, vereint eine sehr theatralische Musik inklusive
dramatischer Chorpassagen mit poppigen Showstoppern und süffigen Balladen.
Vielleicht sind es sogar ein paar Balladen zuviel. Selbst der mit uns
mitgekommene und ganz unbefangene Kollege, der seinen Erstkontakt mit dem
Musical und mit der Musik absolvierte, stöhnte am Ende über die vielen vom
Schlagzeugeinsatz hochpeitschenden Pathos-Stellen in den doch recht
gleichtönenden Popnummern der Show.
Das Orchester hinter der Bühne – den Dirigenten sieht offenbar keiner
Man muss dem
Zweiten Kapellmeister An-Hoon Sung zugute halten, dass er das Beste aus dem auf
der Hinterbühne – nicht im Orchestergraben! – sitzenden 18-Mann-Orchester
herausholt und in den gefühlvollen Passagen der Partitur mit schön langsamen
Tempi zu schwelgen versteht. Dass sich Darsteller und Orchester desöfteren
voneinander entfernen, ist der Tatsache geschuldet, dass sich das Theater einen
den Dirigenten zeigenden Bildschirm im Zuschauerraum gespart zu haben scheint
(jedenfalls war vom Parkett aus keiner sichtbar), so dass die Darsteller sich
offenbar ohne Taktstocksichtung durch die Musik durcharbeiten müssen. Ein
eindrucksvoller Klangeffekt sind die aus dem unsichtbaren Hintergrund
eingestreuten Background-Chöre, die die besonders gruseligen Stellen betonen.
(Kleine Korrektur - 5. 4. 2015: Wie die aktuelle Operninszenierung des "Wildschütz" dank auf der Bühne aufgestellter Spiegel deutlich zeigt, gibt es wenigstens einen standardmäßig über dem Parkett hängenden Dirigentenmonitor - bleibt die Frage, ob dieser beim Jekyll auch aktiviert ist und ob es zusätzliche Monitore gebraucht hätte, weil ja der direkte Orchestergraben-Sichtkontakt wegfällt...)
(Kleine Korrektur - 5. 4. 2015: Wie die aktuelle Operninszenierung des "Wildschütz" dank auf der Bühne aufgestellter Spiegel deutlich zeigt, gibt es wenigstens einen standardmäßig über dem Parkett hängenden Dirigentenmonitor - bleibt die Frage, ob dieser beim Jekyll auch aktiviert ist und ob es zusätzliche Monitore gebraucht hätte, weil ja der direkte Orchestergraben-Sichtkontakt wegfällt...)
Unblutig und ohne Special Effects – hier geht's um Psychologie
„Kommen wir zum
Kern der Sache“, sagt Edward Hyde, als er im Finale die Hochzeit aufmischt. In
der Bremer Inszenierung hat er dabei prompt dem armen Teufel Simon Stride das
rot triefende Herz aus der Brust gerissen und es durch die Kapelle
geschleudert. In der Osnabrücker Fassung geht es dagegen eher unblutig zu. Hier
werden die Opfer rasch erstochen oder lange erwürgt, jedoch setzt Regisseur
Guillermo Amaya mehr auf psychologischen Schrecken als auf Special Effects.
Damit rückt er den Grundkonflikt näher ran an die Menschen im Publikum - die er
in seinem gelungenen Schlussbild ja sogar direkt anspricht. Das ist gut so. Unverständlich
bleibt allerdings, warum Hauptdarsteller Eggers sich in der Rolle des bösen
Edward Hyde die langen Haare jedes Mal so weit über das Gesicht ziehen muss,
dass davon nichts mehr sichtbar bleibt. Wie gerne hätten wir einmal gesehen,
wie sich seine noch recht jugendhafte Visage zu einer echten Fratze verzerrt.
Was Eggers zweifelsohne hinbekommen hätte, so gut, wie er hier schauspielert.
So aber wirkt er gelegentlich wie ein blinder Althippie auf Heroinüberdosis.
Auch hier wäre weniger sicher mehr gewesen. Aber das sind Details. Das Publikum
jedenfalls zeigte sich von dem Musicalabend äußerst angetan – gleich mit Beginn
des Schlussapplauses sprangen die ersten von ihren Sitzen.
„Ich muss ins Wagnis rein“… - wo hinein bitte musst du jetzt?
Bleibt am Ende
nur noch eins zu sagen: Schon immer der größte Schwachpunkt an jeder in
Deutschland gezeigten Jekyll-&-Hyde-Inszenierung ist die Übersetzung, die
man damals für die Bremer Fasssung von der dort mitspielenden Darstellerin
Susanne Dengler anfertigen ließ, vielleicht auch deswegen – das ist Spekulation! -, weil für einen anständigen Übersetzer schon das nötige Kleingeld fehlte.
Dieser Fehler der Verantwortlichen rächt sich noch immer, auch wenn der in
Bielefeld mitspielende Darsteller Eberhard Storz hier und da ein wenig
nachzubessern versuchte. Der Text bleibt übel. Vor allem in der
Anfangsszene des zweiten Aktes, dem großen Intro „Mörder, Mörder!“ fällt das
störend auf. Belanglose Kinderreime wie „Wem wir die Schuld auch geben, er wird
im Netze kleben“ oder „Er würde alle töten , wenn wir die Stirn nicht böten, da
ist ein Fang vonnöten“ werden dem – zugegebenermaßen ebenfalls nicht brillanten
– Originaltext nicht gerecht. Beispiele dieser Art finden sich viele, so unter
anderem in der großen Solonummer des Protagonisten: „Angst darf nicht mehr
sein, ich muss ins Wagnis rein“. „Ins
Wagnis rein“??? Da lässt sich nur adäquat antworten: "Was so schlecht sich reimen tut, ist fürs Theater einfach nicht so gut." Hier wäre dem deutschen Verlag empfohlen, bei einem Profi
wie Wolfgang Adenberg oder Michael Kunze endlich die nötige Neuübersetzung
anzufordern.
Jekyll & Hyde im Theater Osnabrück: Das Stück ist im November 2015 zum letzten Mal gezeigt worden, nachdem es zwei Spielzeiten lang auf dem Spielplan des Theaters gestanden hatte.
Transparenzhinweis: Besuch der Aufführung durch selbstgekaufte Theaterkarten, keine Pressekarten, keine Einladung.
Transparenzhinweis: Besuch der Aufführung durch selbstgekaufte Theaterkarten, keine Pressekarten, keine Einladung.
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Der Autor dieser Zeilen schreibt auf diesem Blog in seiner Eigenschaft als langjähriger Theaterabonnent und als leidenschaftlicher Freund und Anhänger der deutschen Theatervielfalt sowie des Osnabrücker Theaters. Die Beiträge über Inszenierungen des Osnabrücker Theaters auf diesem Blog verstehen sich als Ergänzungen des bereits - wertvollerweise - in fachkritischen Rezensionen Geschriebenen, hier mehr aus Abonnentensicht. Alle Aufführungen sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, nicht auf Pressekarte oder auf Einladung des Theaters, sondern selbst bezahlt, besucht worden.
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