Neunkirchen/Osnabrück - Die Verlierer der aktuellen
Spardebatten im Kultursektor sind die Darsteller und Künstler – so lässt sich
zusammenfassen, was der Autor, Produzent und Komponist Johannes Maria Schatz
auf der Konferenz für Musikmanagement (#MuMa15) sagte. Nach seinen Darstellungen
ist der Markt für Musicaldarsteller in Deutschland erstens übersättigt und
zweitens brutal: Es gibt mehr Darsteller als Rollen (auch deswegen, weil es im
Musical mehr Männerrollen gibt, die weiblichen Kräfte aber in der Überzahl
sind) und die Verhältnisse sind schlecht: Die Gagen sind mickrig und reichen
kaum zum Leben, Auditions werden nicht bezahlt, die Anreise auch nicht, eine
Unterkunft erst recht nicht. Und was die von Schatz gegründete Initiative "Art But Fair" aus den großen
Festivalhäusern erfahren musste – also dem hochkulturellen Opernsegment - ist
nicht viel besser.
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Er war sauer - und das musste raus... Johannes Maria Schatz im Dezember 2015 bei seinem Vortrag auf der Konferenz "Musikmanagement 15" im saarländischen Neunkirchen. (Achenbach-Foto) |
Der studierte katholische Theologe und Rechtswissenschaftler
hatte, nachdem seine Frau bei einer Audition allerlei Unverschämtheiten
ertragen musste, aus lauter Wut eine Facebookseite ins Leben gerufen: „Die
traurigsten & unverschämtesten Künstler-Gagen und Auditionerlebnisse“. Kaum
gestartet, erzielte die Themen-Fanpage binnen weniger Tagen mehrere tausende „Gefällt
mir“-Klicks – und ein Sturm brach los, den Schatz selbst so nicht eingeschätzt
hätte. Mehr noch als das: Mit der angesehenen und arrivierten Operndarstellerin
Elisabeth Kulman fand die Facebookseite eine prominente Fürsprecherin. Was sie
aus dem Festspielbereich erzählte, ist gleichsam haarsträubend: Den Angaben zufolge wird selbst eine Anna Netrebko nicht mehr für
Proben bezahlt. Inzwischen ist aus der Facebookseite eine Initative entstanden, die die Verhältnisse ans Licht der Öffentlichkeit bringt, den Protest bündelt und für Verbesserungen sorgen will: "Art But Fair" heißt sie. Dass sie ausgerechnet im von einer besonders zynischen Spardebatte gebeutelten Hagen (NRW) sitzt, ist wohl Zufall, passt aber perfekt.
Darsteller müssen lernen Nein zu sagen - wann immer es geht
Inzwischen erfreut sich seine Initiative einer gewissen
Bekanntheit – und ist doch noch immer am Anfang ihrer Arbeit, wie Johannes
Maria Schatz auf der Konferenz berichtete. Das Wichtigste: Aufklären. Und den
angehenden und frischen Musicaldarstellern die Verhältnisse aufzeigen. „Wenn
ich nur 80 oder 120 Euro pro Vorstellung bezahlt bekomme, dann hilft nur eins:
Nein sagen!“, meinte Schatz. Und rechnete vor: Spielt ein
Stadt-, Staats- oder Landestheater rund acht bis maximal zehn Vorstellungen pro Monat (was
ungewöhnlich viel wäre), hätte der Darsteller dort also um die 800 Euro
verdient, hätte davon aber noch nicht die Fahrtkosten und zusätzlichen
Wohnkosten bezahlt (meistens wird nicht am Wohnort gespielt), ganz abgesehen
vom Lebensunterhalt allgemein, also Miete, Versicherungen, Essen, etc.
"Wenn Sie das dann bezahlen können - Chapeau!"
„Nein sagen können ist ein Luxus, das muss man sich leisten
können“, sagte dazu die Darstellerin Astrid Vosberg, die als Gastsängerin oder
Schauspielerin in verschiedenen Theaterproduktionen – nicht nur Musical – zu
erleben ist. Der ehemalige Theaterintendant Elmar Ottenthal (u. a. Aachener
Theater) versuchte indes eine Brücke zu schlagen und auch Verständnis für die
Situation der Verantwortlichen zu wecken. Das Thema sei ein weites Land, das
natürlich Wut entfache und die Zornesröte ins Gesicht bringe – man müsse
allerdings auch sehen, dass Theater einen Bildungsauftrag hätten und eben jene
Darsteller bräuchten, die vor allem mit Leidenschaft dabei seien. „Ich
bewundere jeden, der es schafft, etwas auf die Bühne zu bringen – und wenn er es
dann auch noch bezahlt bekommt: Chapeau!“, lautete Ottenthals Fazit.
Die Intendanten sind nicht die Alleinschuldigen: Die kriegen Haue
„Die Intendanten stehen zwischen Haue und Applaus“, sagte „Art-But-Fair“-Gründer
Johannes Maria Schatz. Auch er unterstrich,
dass die Intendanten nicht die Verursacher des Problems seien: „Die würden
sicher gerne mehr zahlen wollen, wenn sie es könnten“; sagte der Theatermacher.
„Schuld an der Misere ist der politisch verordnete Sparzwang bei der Kultur“
(Randbemerkung des Autoren: Wobei es bei den sich kommerziell selbst tragenden
Großproduktionen offenbar ebenfalls recht ruppig zugehen muss, was Gagen etc.
angeht). Dass überhaupt über Gagen gesprochen wird, ist übrigens eine neue Entwicklung...
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Das Panel 5 auf der Konferenz (von links): Moderator Sebastian Herold, Theatermacher Elmar Ottenthal, Johannes Maria Schatz von "Art But Fair" und die Darstellerin Astrid Vosberg. (Achenbach-Foto) |
Ein Sturm brach los - wunde Punkte getroffen
Denn bevor Schatz seine Facebook-Initiative startete, galt das als ein rotes Tuch.
Man tat es einfach nicht. Aber als die Dämme brachen, zeigte sich auch, wie unterschiedlich
die Entwicklungen teilweise sind. Mit seinem Protest hatte Schatz viele wunde Punkte getroffen. Inzwischen ist das Thema auch in der öffentlichen Berichterstattung angekommen (u. a. bei der „Zeit“). „Art But Fair“ versucht
jetzt unter anderem, ein Qualitätssiegel zu etablieren, das an die Theater
verliehen wird, die faire Löhne bezahlen. Außerdem betreibt die Initiative viel
Öffentlichkeitsarbeit und verleiht einmal im Jahr die „Goldene Stechpalme“ an
die Verantwortlichen von besonders schlechter Verhältnissen.
Profi-Tipp: Darsteller sollten über den Tellerrand blicken
Die Künstlerin Astrid Vosberg sieht einen Teil der Lösung
auch bei den angehenden Musicaldarstellern: „Ich kann die jungen Kollegen nur
ermuntern, nicht nur auf das Musical zu gucken, sondern den Blick zu weiten.“
Schauspiel, Operette, Oper, das Feld ist weit.
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